Grundversorgung auf allen digitalen Kanälen

Qualität darf nicht zum Instrument der Verhinderung werden

Immer wieder emphatisch beschworen, kaum je griffig definiert, nicht algorithmisierbar ist ‘Qualität’ ein schillernder Schlüsselbegriff der Mediendebatte. So schreibt die Bundesregierung in ihrem jüngsten Medien- und Kommunikationsbericht: “Ein qualitativ hochwertiges, seriöses Medienangebot ist ein Lebenselixier der Demokratie. Nur wenn gesellschaftliche und politische Debatten fundiert geführt werden, können die Bürgerinnen und Bürger von ihren demokratischen Partizipationsmöglichkeiten in vollem Umfang Gebrauch machen.”

Qualitätsmedien als Lebenselixier der Demokratie – höher lässt sich die Messlatte kaum hängen. Im Rundfunk ist das die Aufgabe, die das Bundesverfassungsgericht ARD und ZDF zugewiesen hat. Es hat keinen Zweifel daran gelassen, dass weder Markt noch Staat geeignet sind, eine umfassende Grundversorgung zu gewährleisten. Folglich ist seine Finanzierungsgarantie Teil der Rundfunkfreiheit des Artikel 5 des Grundgesetzes.

Bei der Presse konnte der Gesetzgeber bislang von einer Pluralität des Marktes ausgehen. Art. 5 schützt sie daher nur vor Eingriffen, sichert ihr aber keine Finanzierung. Auch sie ist Teil des Lebenselixiers der Demokratie. Ist sie gefährdet, müssen wir über Formen der Unterstützung durch die Gemeinschaft nachdenken. Die rot-grüne Regierung in NRW wird für ihre beitragsfinanzierte Journalismus-Stiftung “Vielfalt und Partizipation” von den Verlagen heftig attackiert. Andere sehen sie als willkommenen Schritt, die gesellschaftliche Funktion Journalismus jenseits der Trennung von Presse, Rundfunk, Internet und ihrer Institutionen zu fördern (z.B: NDR: Zapp, Carta, Newsroom.de, Verdi: MMM, GKP).

Da öffentlich-rechtliche Medien uns dienen und, wie NDR-Intendant Lutz Marmor jüngst unter der Überschrift “Gemeinwohl statt Rendite” (Funkkorrespondenz, 15.3.2013) erinnerte, uns allen gehören, müssen sie ihre Qualität unter Beweis und zur Diskussion stellen. Auch die Grimme-Preise sind Teil dieser Debatte. Sie werfen ein Licht auf Herausragendes. Das ist verdienstvoll. Dringlicher ist jedoch eine Normalisierung dieser Debatte über mediale Wertigkeit, über journalistische, kulturelle, medientechnische Qualitäten. Nicht einmal im Jahr, sondern im laufenden Betrieb. Nicht gerichtet auf das herausragende Einzelwerk, sondern auf das, was uns täglich grundversorgt, das gesamte Angebot über alle Medien hinweg.

Das Universalmedium vernetzter Computer hebt das Grimme-Institut seit 2001 mit dem Grimme Online Award in seiner Spezifik hervor. Angebote von ARD und ZDF bilden eine Minderheit unter den Preisträgern. Das ist nicht verwunderlich. Hat doch der Gesetzgeber den Grundversorgungsauftrag zwar auf das Netz ausgeweitet, ihn jedoch zugleich in enge Grenzen gestellt. Sendungen und Sendungsbegleitendes dürfen kurzzeitig im Netz verfügbar gemacht werden, ‘Presseähnliches’ gar nicht, alles darüber hinaus nur nach Bestehen eines kostspieligen und unsinnigen Dreistufentests. Den entscheidet vor allem der Nachweis eines besonderen “qualitativen Mehrwerts” im publizistischen Wettbewerb.

Was daraus folgt, machten die Koalitionsfraktionen in der abschließenden Sitzung der Internet-Enquete des Bundestages im Januar deutlich, als sie forderten, der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse “zumindest im Internet” von einem “Vollversorger zu einem Qualitätsversorger” werden. ‘Qualität’ wird hier zum Instrument, um eine umfassende und innovative Grundversorgung grade dort zu verhindern und auf eine Lückenfüllerfunktion zu begrenzen, wo immer größere Teile der Bevölkerung sich informieren.

Im Netz gehören Transparenz, Dialog und Partizipation zu den neuen Qualitätsanforderungen. Dialogisch werdende Medienangebote müssen die Expertise jedes einzelnen Mediennutzers ernst nehmen. Dass heißt nicht nur, Soziale Medien auszuwerten, sondern auch, sich in den Dialog über das gesamte Programm und die zugrundeliegenden Qualitätskriterien und Experimente für die Zukunft zu begeben. Viele Medienmacher würden ja auch wollen, wenn man sie nur ließe.

Im Internet treffen Presse und Rundfunk aufeinander, die nach Art. 5 GG drei getrennten Regulierungen unterliegen. Ist die Tagesschau-App Presse? Sind es Blogs? Sind Videoangebote von Zeitungen Fernsehen? Sind Videokonferenzen in sozialen Netzwerken oder Live-Chats der Kanzlerin Rundfunk und damit zulassungspflichtig? Die Spezifik der Einzelmedien verliert sich im Netz.

Statt der Abgrenzung nach Übertragungstechniken ist eine integrierte Medien- und Netzpolitik vonnöten. Sie würde auf den Kerngehalt des Art. 5 fokussieren, die individuelle Informations- und Meinungsfreiheit, der Presse und Rundfunk gemeinsam dienen. Sie würde Kooperationen fördern, wie wir sie heute schon in der “Initiative Qualität” sehen. Und sie würde die Frage nach der Gewährleistungspflicht neu stellen. Allerdings könnte eine Anpassung des Art. 5 notwendig sein, um den erforderlichen Gestaltungsspielraum zu öffnen und den historisch gewachsenen Regelungswust aufzuräumen.

Spenden, Stiftungen, Crowdfunding sind wichtige Finanzquellen neben klassischen Marktmodellen. Doch auf absehbare Zeit wird es eine unabhängige Selbstbeobachtung der Gesellschaft im Gemeinwohlinteresse nur geben, wenn die Gemeinschaft sie bezahlt.

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Erstveröffentlicht in der Preispublikation zum Grimme Online Award 2013 (Druckfassung zum Download).

 

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