Margaret Thatcher: Was bleibt von ihrer Medienpolitik?

Die in der Ära Thatcher getroffenen Entscheidungen haben das britische Rundfunksystem entscheidend geprägt.

Am 8. April verstarb Margaret Thatcher. Von 1979 bis 1990 prägte die konservative britische Premierministerin in drei aufeinanderfolgenden Regierungsperioden eine politische Ideologie, die als Thatcherismus in die Geschichte eingegangen ist. Wenn es in vielen der aktuellen Nachrufe um die Auswirkungen und Bewertung ihrer neoliberalen Politik auf die britische Gesellschaft, Thatchers eher kritische Position zur deutschen Wiedervereinigung und die Europaskepsis der Tories geht („I want my money back“), wird dabei ihr bis heute nachwirkender Einfluß auf die Gestaltung des britischen Mediensystems, die BBC, ITV und Channel 4 außer Acht gelassen.

Dieser Beitrag lässt die wichtigsten Eckpunkte der Medienpolitik der Thatcher-Regierung mit einem Augenmerk auf deutsch-britische Interdependenzen Revue passieren. Am Ende findet sich eine Bewertung, welche der von ihrer Regierung angestoßenen Initiativen heute noch zum Tragen kommt. Was bleibt von der Medienpolitik der Thatcher-Regierung?

Als am 3. Mai 1979 die britischen Wahlen stattfanden, befand sich Großbritannien in einer tiefgreifenden ökonomischen Krise und hatte mit Arbeitslosigkeit, Gewerkschaftsstreiks, geringen industriellen Produktivitätsraten und einer hohen Inflationsrate zu kämpfen. Der Winter 1978-79 ist im Vereinigten Königreich in Anlehnung an den ersten Satz in Shakespeares Drama Drama „The Tragedy of King Richard the Third“ als „Winter of Discontent“ bekannt.

Als Thatcher in diesem Klima an die Macht kam, begegnete sie der Krise durch staatliche Ausgabenkürzungen und Privatisierungen. Letztere kamen allerdings erst in der zweiten Thatcher-Regierung (1983-1987) zum Tragen. Im ersten Kabinett waren schlichtweg viele Kapazitäten durch die Bekämpfung der Inflation und den Falklandkrieg mit Argentinien gebunden.

Channel 4

Der zunächst wichtigste Eckpfeiler der Rundfunkpolitik von 1979 bis 1983 war die Gründung von Channel 4. Bereits im Jahr 1977 hatte das Annan-Komitee, geleitet von Noel Annan, einem ehemaligen Nachrichtenoffizier der britischen Kontrollkommission in Deutschland, vorgeschlagen, den vierten Kanal (nach BBC1, BBC2 und ITV) außerhalb der bestehenden Rundfunkstruktur anzusiedeln. Im Rundfunkgesetz von 1980 wurde dafür die entsprechende Gesetzesgrundlage geschaffen. Darin wurden Vorgaben gemacht, dass Channel 4 Programme für Minderheiten senden und insbesondere innovativen und experimentellen Formaten einen Raum geben sollte.

Der vierte Kanal verstand sich darauf, Programme von möglichst vielen unabhängigen Produzenten zu kommissionieren, zu senden und zu distribuieren, was damals einzigartig war. Dadurch bildete sich ein wettbewerbsorientierter unabhängiger Produktionssektor heraus, der später noch dazu beitragen sollte, die festgefahrenen Strukturen der Platzhirsche BBC und ITV aufzubrechen.

Channel 4 ging am 2. November 1982 mit einem abwechslungsreichen, ausgewogenen und zum Teil experimentellen Programm auf Sendung. Der wichtigste außerbritische Impuls für Channel 4 – so der Gründungsdirektor Jeremy Isaacs, ebenso wie der aktuelle BBC Generaldirektor Tony Hall ein ehemaliger Leiter des Royal Opera House – kam vom Mainzer Lerchenberg durch „Das Kleine Fernsehspiel“. Dessen langjähriger Direktor Eckart Stein (1975-2000) saß im Channel 4-Beratungsgremium und erinnert sich an eine einzigartige deutsch/britische Zusammenarbeit im Fernsehbereich, die mutmaßlich später, als die Fortführung des Fernsehspiels auf der Kippe stand, Richard Attenborough dazu bewog, einen leidenschaftlichen Brief für dessen Erhalt an Dieter Stolte zu senden. Aktuell feiert „Das Kleine Fernsehspiel“ mit der gesamten ZDF-Familie den 50. Geburtstag.

Satellit und Kabel

Parallel zur Gründung von Channel 4 maß die Thatcher-Regierung neuen Rundfunkübertragungstechniken via Satellit und Kabel große Bedeutung bei, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit im Technologiesektor zu steigern. Die BBC bekam eine Lizenz, auf zwei der fünf verfügbaren Satellitenfrequenzen zu senden, und sah dies zunächst als von der Rundfunkgebühr unabhängigen, zusätzlichen pay-per-view oder Abonnementdienst an. Es gab allerdings Unstimmigkeiten in Bezug auf Technik und Finanzierung, so dass die BBC-Initiative versandete.

In Bezug auf Kabel hatte das britische Innenministerium am 10. März 1981 13 abonnementpflichtige Kabelfernsehexperimente zugelassen. Die Thatcher-Regierung favorisierte, dass möglichst schnell ein kommerzielles und entertainmentlastiges Programm zur Verfügung stehen sollte. Im Jahr 1983, zeitgleich mit der von Christian Schwarz-Schilling großangelegten Verkabelung der Bundesrepublik, wurde auch in Großbritannien Kabel verlegt. Zwei Jahre später boten acht verschiedene, größtenteils nordamerikanischen Firmen auf der Insel 20 Kanäle an.

Die Verbreitung gestaltete sich hingegen schleppend, 1988 waren kaum 2,4 Millionen britische Haushalte ans Kabelnetz angeschlossen und lediglich 45.000 Haushalte verbunden. Deutschland war zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg zur größten europäischen Kabelinfrastruktur. Im Jahr 1990 waren 58,4 % der 26 Millionen deutscher Haushalte Kabelhaushalte.

Marktliberalismus und Rundfunk

Die Thatcher-Regierung folgte einer marktliberalen Agenda, und davon blieb auch die BBC nicht verschont – dies aber nicht ganz ohne Eigenverschulden. Obwohl erst 1981 die Rundfunkgebühren erhöht worden waren, fragte Generaldirektor Alasdair Milne, ohnehin unbeliebt bei Thatcher, bereits im Dezember 1984 nach einer weiteren Erhöhung von 15 auf 18 £ für Schwarz-Weiß-Fernseher und von 46 auf 65 £ für Farbfernsehgeräte.

So, wie in Deutschland CDU und CSU die ARD für linkslastig hielten, was – siehe z.B. die Brokdorf-Berichterstattung – teilweise auch gerechtfertigt war, empfanden die Tories die BBC-Berichte über den Falklandkrieg und die Nordirlandkrise als linksgerichtet. Rupert Murdoch machte über die Times
Times Stimmung gegen die BBC, und die zwei einflussreichen Think-Tanks Institute of Economic Affairs und Adam Smith Institute hatten Vorschläge vorgelegt, wie die marktliberale Regierungsagenda auf den Rundfunksektor anzuwenden sei.

Milnes Forderung nach einer Gebührenerhöhung brachte das Faß also zum Überlaufen. Am 27. März 1985 stimmte Innenminister Leon Brittan zwar einer leicht abgeschwächten Gebührenerhöhung zu, gleichzeitig setzte er allerdings das Komitee zur Finanzierung der BBC ein, welches andere Finanzierungsmöglichkeiten als die Rundfunkgebühr prüfen sollte. Die Thatcher-Administration favorisierte hier klar eine Werbefinanzierung.

Der Vorsitz des siebenköpfigen Komites wurde dem liberalen schottischen Volkswirt Professor Alan Peacock anvertraut. Während des Zweiten Weltkriegs hatte Peacock als Marinesoldat an der Entschlüsselung des Enigma-Codes mitgewirkt, bevor er seine aktive Militärlaufbahn als Leutnant in Kiel beendete. Von 1973 bis 1976 war Peacock als Chefwirtschaftsberater des Handels- und Industrieministeriums tätig gewesen, dem marktliberalen Zentrum innerhalb der Thatcher-Regierung und Gegenpol zum moderaten Innenministerium. Peacock war bereits Mitglied oder Leiter mehrerer Regierungskommissionen gewesen, darunter das Arts Council Inquiry into Orchestral Resources, in welchem die Finanzierung der BBC-Orchester unter die Lupe genommen wurde. Er selbst sowie drei der vom Komitee eingebundenen Consultants standen dem Institute of Economic Affairs nahe.

Der Peacock-Bericht wurde im Juli 1986 vorgelegt. Werbefinanzierung für die BBC, das Ziel der Thatcher-Regierung, findet darin keine Zustimmung, weil sie den Interessen der Konsumenten zuwider läuft und primär denen der Werbeindustrie dient. Stattdessen wird ein dreistufiges Verfahren vorgeschlagen, dem zukünftig zu erwartende Rundfunkentwicklungen zu Grunde liegen.

Zunächst erwartete das Peacock-Komitee in Stufe 1 die Ausbreitung der Satelliten- und Kabeltechnik und regte parallel dazu eine Indexierung der BBC-Rundfunkgebühr an die Entwicklung der Verbraucherpreise an. Weitere Vorschläge sind, das „comfortable duopoly“ (BBC und ITV) zu verpflichten, 40 Prozent ihrer Programme von unabhängigen Produzenten zu beziehen, sowie die Lizenzen für ITV und neue Satellitenfrequenzen im Auktionsverfahren zu vergeben.

In Stufe 2, deren Eintreten bis Ende der 1990er Jahre erwartet wurde, entwickelt sich die Anzahl der zur Verfügung stehenden Rundfunkkanäle und Zahlungsmethoden. Das Peacock-Komitee schlägt hierfür vor, den größten Teil der BBC-Rundfunkgebühr durch die Einnahmen aus Pay-TV-Abonnements zu ersetzen. ITV finanziert sich weiter durch Werbung.

In Stufe 3 gibt es eine nahezu unbegrenzte Anzahl von Kanälen. Verschiedene Finanzierungsformen wie Pay-Kanal-Abonnements und einzelne gebührenpflichtige Angebote haben sich durchgesetzt, und Angebotsvielfalt führt zu einem funktionierenden Rundfunkmarkt. Zwar ist das Leitmotiv des Peacock-Berichts die Konsumentensouveränität, dies schließt allerdings in keiner der drei Stufen die Existenz öffentlich förderungswürdiger Angebote wie Nachrichten, Auslandsberichterstattungen oder Programme über Kunst und Religion aus. Um dementsprechende Mittel zu verteilen, sah Peacock die Errichtung einer Regulierungsinstitution namens Public Service Broadcasting Council vor.

Die Rolle von Alan Peacock für das britische Rundfunksystem ist gut mit der von Eberhard Witte, dem Vorsitzenden der Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK), vergleichbar. Beide Ökonomen, der Volkswirt Peacock und der in der Betriebswirtschaft verhaftete Witte, standen einer Kommission vor, deren Empfehlungen nachhaltig die jeweilige Rundfunklandschaft verändern sollten.

Die KtK tagte von 1973 bis 1976. Bekanntlich schlug sie die Durchführung von Kabelpilotprojekten vor, von denen dann eines im Jahr 1984 zur Einführung des bundesweiten Privatfernsehens führte. Im Gegensatz zur persönlichen Prädisposition Wittes, der als Betriebswirt ein ausschließlich marktgesteuertes System bevorzugte, in der Verfolgung dieser Ziele allerdings von verfassungs-, rundfunkrechtlichen und parteipolitischen Vorgaben gebremst wurde, sah Peacock immer eine Rolle für einen gemeinschaftlich finanzierten öffentlichen Rundfunk in einem marktgetriebenen System vor. Die in den britischen Kultur- und Sozialwissenschaften teilweise geäußerte Kritik, dass Peacock Rundfunk ausschließlich als marktwirtschaftliches Gut auffaßte und eine vollständig laissez-faire-orientierte Wirtschaftspolitik verfolgte, läuft somit ins Leere.

Unabhängige Produktionsquoten und Lizenzauktionen

Der Peacock-Bericht hatte Margaret Thatcher die Möglichkeit der BBC-Werbefinanzierung genommen und wurde demensprechend wenig freundlich aufgenommen. Peacock hatte eine Agenda gesetzt, nämlich, dass Konsumentersouveränität am besten durch Pay-TV erreicht wird. Um zu entscheiden, wie damit zu verfahren war, setzte die Thatcher-Regierung zunächst eine Gruppe von Ministern an, die darüber beraten sollte. Letztendlich pickte sich Innenminister Douglas Hurd einige Kirschen aus dem Bericht heraus.

Für beide, die BBC und ITV, wurden unabhängige Produktionsquoten von 25 % eingeführt. In Bezug auf die BBC wurde die Rundfunkgebühr indexiert und Alasdair Milne wurde durch Michael Checkland ersetzt. Checkland hielt eine kontroverse „Panorama“-Dokumentation zurück, um sich nicht den Zorn der Regierung zuzuziehen, und führte vielerlei Effizienz- und Effektivitätsmaßnahmen bei der BBC ein. Ab 1993 wurde diese Linie von John Birt weiterverfolgt, der den Thatcher-Vorstellungen insoweit genügte, als er innerhalb der BBC einen internen Markt einführte und dadurch noch weiter reichende Reformvorschläge abwenden konnte, die von außen an ihn herangetragen wurden.

Wobei die BBC sich somit selbst von innen heraus reformierte, wurde den regionalen ITV-Gesellschaften die marktliberale Agenda aufoktroyiert. Ab 1991 wurden ITV-Lizenzen durch Auktionen vergeben. Außerdem wurde die für ITV zuständige Regulierungsinstitution Independent Broadcasting Authority, die eher freundschaftlich mit den ITV-Gesellschaften zusammenarbeitete, durch die marktliberal-orientiertere Independent Television Commission ersetzt.

Maßgeblich hierfür verantwortlich war, dass, im Gegensatz zum eher vorsichtigen Vorgehen der BBC, die ITV-Gesellschaft Thames Television 1988 die kontroverse Dokumentation „Death on the Rock“ sendete. Darin geht es um die Erschießung von IRA-Terroristen durch eine Spezialeinheit der British Army in Gibraltar. Zum Ärger der Thatcher-Regierung hatte die Independent Broadcasting Authority die Sendung durchgewunken.

Thames Television unterlag im Bieterverfahren gegen Carlton Television und stelle am 31. Dezember 1992 den Sendebetrieb ein. Carlton schloss sich später mit Granada zu ITV plc zusammen.

Was bleibt?

Die Medienpolitik der Thatcher-Regierung führte dazu, die bis dato primär sozio-kulturell motivierte Rundfunkpolitik marktwirtschaftlicher orientiert auszurichten. Neben der Einleitung struktureller Reformen der britischen Rundfunklandschaft wirkt bis heute vor allem Peacocks Konzept der Konsumentensouveränität nach.

Wie es in diversen Nachrufen auf Thatcher heißt, wurde ihre Politik in vielen Feldern von den nachfolgenden Regierungen fortgeführt. Im Rahmen der Medienpolitik kommt Peacocks Gedanke, Konsumentensouveränität mit der Fortführung des öffentlichen Rundfunks zu vereinen, bei der britischen Debatte um die Aufsplittung der Rundfunkgebühr zum Tragen. In Großbritannien besteht bereits ein weiter Konsens, dass die Gebühr nicht ausschließlich an die BBC fließen sollte. Als ein heißer Kandidat, der einen Teil der zukünftigen Gebühren empfangen könnte, gilt dabei Channel 4.


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