Die öffentlich-rechtlichen Anstalten verfehlen ihren Auftrag, ein Programm für alle Bürger Deutschlands zu veranstalten – und das schon seit Jahren. „Generationenabriss“ heißt das und zeigt, wie ernst ARD und ZDF den demographischen Wandel nehmen, indem sie ein Programm fast exklusiv für die Ü-60jährigen produzieren. Legitim ist das nicht, wenn ganze Bevölkerungsteile nicht erreicht werden, deshalb soll der seit Jahren umstrittene gemeinsame Jungendkanal jetzt Abhilfe schaffen. Trotz des öffentlich-rechtlichen Wunsches nach einem crossmedialen Auftritt darf das neue Angebot jedoch ‚nur’ rein webbasiert realisiert werden – was in den ordnungspolitisch überreglementierten und heiligen Hallen vormodernen Public Value-Flimmerns einem Erdbeben gleichkommt.
Die Entscheidung für einen webbasierten Jugendkanal bedeutet eine Revolution im Rundfunkrecht und wird die Gemüter – so viel ist sicher – noch beschäftigen. Schließlich verstößt die Entscheidung gegen geltende juristische Grundlagen, sprich den Rundfunkstaatsvertrag. Denn an sich dürfen die Öffentlich-Rechtlichen nur „programmbegleitend“ im Netz agieren. Folgen jetzt auch neue Freiheiten für die Mediatheken? Fällt die Pflicht zur Depublizierung? Es geht ja nicht nur um deutsches, sondern auch um EU-Recht. Und Brüssel glaubt gerne an die Mär vom sich selbst regulierenden Markt. Lässt man ARD und ZDF im Internet von der Leine, steht zu befürchten, dass die EU die Rechtsgültigkeit der Haushaltsabgabe noch einmal unter die Lupe nimmt und schlimmstenfalls das gesamte Finanzierungsmodell verbieten wird. Stichwort unzulässige staatliche Beihilfe.
Trotz dieser Gefahr ist eine grundlegende Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen dringend notwendig. Das ganze System muss auf den Kopf gestellt werden, weil es aus einer Zeit stammt, in der von der heutigen medialen Landschaft nur geträumt werden konnte. Markus Brauck kommentiert auf Spiegel-Online empört: „Das Netz braucht ARD und ZDF nicht“ und beschwört eine rührende Vision von einer präkonvergenten medialen Umgebung. Angesichts von Smart-TVs, die sich durchsetzen werden, muss die Frage erlaubt sein, wo ARD und ZDF in Zukunft ihre Inhalte anbieten sollen, wenn jedes Endgerät internetfähig ist. Das klassische Fernsehen ist in Auflösung begriffen. Deshalb ist die Debatte um den Jugendkanal so wichtig: Will der öffentlich-rechtliche Rundfunk überleben, so muss er dort zu finden sein, wo sich das Publikum aufhält – und das gilt in besonderem Maße für die jugendliche Zielgruppe, für die der traditionelle Bildschirm schon jetzt zum Relikt aus dem Technikmuseum wird.
Den Jugendkanal unmittelbar vom Web her zu denken ist also richtig. Allerdings ist zu bezweifeln, dass ein solches Projekt mit einem Jahresbudget von 45 Millionen Euro die Situation ernstlich verändern wird. Zwar ließe sich mit der Summe eine Staffel House of Cards produzieren, also knapp 13 Stunden hochwertiges Programm, jedoch bliebe die Aufgabe zu bewältigen, dieses Angebot geschickt und einfallsreich auf 365 Tage zu verteilen. Wie man einen ganzen ‚Sender’ mit diesem dürftigen Aufwand finanzieren soll, sei also dahingestellt. Letztendlich geht es um die Qualität des Programms. Der Ausspielkanal ist erst mal zweitrangig. Und in den letzten Jahrzehnten haben ARD und ZDF kaum ein Angebot geschaffen, das die Jugend interessiert.
Das mag auch an dem Bild der Jugend liegen, das die Verantwortlichen in den Sendern zeichnen und das so aus der Zeit gefallen ist, wie die rechtlichen Grundlagen des eigenen Wirkens. Der Jugendliche ist suspekt und fremdbestimmt. Isoliert und selbstvergessen wankt er ohne Aufsicht in die grenzlosen Weiten medialer Kosmen, um sich wahlweise Enthauptungsvideos anzusehen oder Pornos mit seinen virtuellen Freunden zu teilen. Oder sich selbst hüllenlos zu fotografieren. Das Internet, von den einen in technoider Selbstvergessenheit als endgültiger Ausgang des Menschen aus seiner selbst auferlegten Unmündigkeit gepriesen, gerät in den Beschreibungen öffentlich-rechtlichen Zuschnitts zum Hort ungebremsten Tutti-Frutti-Wahnsinns – DER Jugendliche muss beschützt werden. Mit Bildungsangeboten – ich bin mir sicher, die Jugend kaut an ihren Nägeln und aktualisiert sekündlich die JuKa-Facebook-Seite, die es bereits seit August 2012 gibt und die mit einer Gefolgschaft von 521 Freunden aufwarten kann – und dass ganz ohne Sender, netznativ.
Die Politik hat mit dem Auftrag zu einem webbasierten Jugendkanal das richtige Signal gegeben, wie die öffentlich-rechtlichen Sender diesem Aufruf zur Zukunftsfähigkeit nachkommen werden, wird sich zeigen. Spannend werden vor allem die juristischen Nachspiele dieser Entscheidung sein.
crosspost: am 21.10.14 erschienen auf vocer.de