Eine Beteiligung der Zuschauer an der Entscheidung über Formate und Themen könnte beitragen, das Akzeptanzproblemen öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu verringern. Dabei sollten auch die Kostenstrukturen offengelegt werden.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat ein Legitimationsproblem: Junge Menschen meiden zunehmend das öffentlich-rechtliche Angebot, das böse Wort vom „Rentner-Rundfunk“ oder „Kukident-Sender“ macht die Runde und die Anstalten werden für ihr mangelndes Transparenzgebaren kritisiert. Auch wenn die Existenz der Öffentlich-Rechtlichen verfassungsrechtlich garantiert ist, müssen sie sich dieser Kritik stellen – ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der keine Akzeptanz bei den Beitragszahlern mehr hat, dürfte auf lange Sicht politisch nur schwer haltbar sein. Schon jetzt liegt die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft der Nutzer öffentlich-rechtlicher Medien lediglich bei etwa der Hälfte der tatsächlichen monatlichen Abgabe von 17,98 Euro (1). Das können die Sender nicht dauerhaft ignorieren.
Was ist dran am Rentner-Rundfunk? Selbst die ARD erkennt, dass das Durchschnittsalter der ARD- und ZDF-Zuschauer auf mittlerweile gut 60 Jahre gestiegen ist. Fast die Hälfte der Zuschauer ist über 65 Jahre alt – also im Rentenalter (2). Diese Entwicklung mag auch daran liegen, dass die Internet-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Anstalten zunehmend online-basierten Mediennutzungsgewohnheiten hinterherhinken. Im Jahr 2013 wurden gerade einmal 2,4 Prozent der angemeldeten Erträge aus den Rundfunkbeiträgen auf Telemedienkosten verwendet (3). Zum Vergleich: Die BBC setzte im gleichen Jahr 5,32 Prozent ihrer Gebühreneinnahmen für Online-Aktivitäten ein (4).
Im engen Zusammenhang damit steht auch die Kritik, dass die öffentlich-rechtlichen Sender zu wenig in die Entwicklung innovativer Formate investieren, die geeignet wären, jüngere Zielgruppen zu erreichen. Mit internationalen Serienerfolgen wie „Breaking Bad“ oder „Homeland“ können heimische Produktionen schwer mithalten. Ferner stehen solche erfolgreichen Formate nicht in den Mediatheken, sondern bei Watchever, Netflix und Hulu zum Abruf bereit. Zudem wird darüber diskutiert, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten lediglich erfolgreiche Formate von den Privaten kopieren und Gesichter der Privaten abwerben (5) – nicht gerade ein Nachweis von Innovationskompetenz.
Ein weiteres Akzeptanzproblem mag in mangelhaften und föderal unterschiedlichen Transparenzniveaus der Sendeanstalten liegen: Elementare Controlling-Kennzahlen werden weiter als Betriebsgeheimnis behandelt. Zwar mögen Produzentenberichte ein erster Schritt in Richtung transparente Auftragsvergabe sein, die Programmkosten eines „Tatorts“ lassen sich daraus allerdings nicht entnehmen.
Pfadabhängigkeiten und institutionelle Kontinuität
Kurzfristig dürften die oben skizzierten Entwicklungen keine einschneidenden Konsequenzen haben; der Fortbestand des öffentlich-rechtlichen Systems in seiner gegenwärtigen Form wird durch die politischen Entscheidungsträger ausreichend gestützt. In Bezug auf die politischen Freundeskreise unterstreicht das ZDF-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einmal mehr den durch Pfadabhängigkeiten geprägten Hang zur institutionellen Kontinuität (6). Wie die komplexe Entstehungsgeschichte des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrags zeigt, ist es ferner äußerst unwahrscheinlich, dass das Modell des geräteunabhängigen Wohnungs- und Betriebsstättenbeitrags in der nächsten Zeit erneut grundsätzlich reformiert wird (7).
Auch die Implementierung des aus medienökonomischer Sicht naheliegenden Konzepts einer anreizorientierten Komponente in Form eines offenen Rundfunkfonds ist aktuell kaum möglich. Dabei würden Beitragsmittel in einen Fonds eingestellt. Sämtliche Programmproduzenten könnten im Erfolgsfall ihrer Bewerbungen für die Finanzierung „unterstützungswürdiger Programme“ auf Mittel aus diesem Fonds zugreifen (8). Ob kleinere Anpassungen wie die Senkung des Rundfunkbeitrags auf künftig 17,50 Euro langfristig eine breite gesellschaftliche Legitimationsbasis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sichern, ist fraglich.
Ein großer Wurf zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist also in absehbarer Zeit nicht zu erwarten – vielleicht aber könnte eine Politik der kleinen Schritte den Öffentlich-Rechtlichen helfen, insbesondere bei jüngeren Bevölkerungsgruppen etwas mehr Akzeptanz zu gewinnen und neue Wege zu beschreiten. Der hier vorgeschlagene kleine Schritt, Trends in der angelsächsischen Forschungslandschaft folgend (9), ist ein Politikexperiment. Mittels der wissenschaftlichen Untersuchung von Kausalzusammenhängen können so ergebnisoffen und kostengünstig wichtige Erkenntnisse über zielführende akzeptanzsteigernde Anpassungen gewonnen werden.
Ein aus Sicht der Autoren naheliegendes Experiment ist die Überprüfung der Hypothese, dass die Akzeptanz der öffentlich-rechtlichen Anstalten steigt und ihre Legitimationsbasis sich verbessert, wenn die Rundfunkbeitragszahler ex ante direkt auf einen kleinen Teil des Programms Einfluss nehmen können und nicht nur ex post über Einschalt- bzw. Abrufquoten und Programmbeschwerden (10). Dabei ließen sich auch die Entstehungswege von Produktionen inklusive ihrer Kosten transparent darstellen. Dies könnte man über ein einfaches Design erreichen: Die Anstalten stellen den Zuschauern Exposés von verschiedenen Beiträgen und Themen zur Auswahl, über die man berichten respektive aus denen man einen Beitrag machen könnte. Die Zuschauer können dann unter den verschiedenen Themen und Exposés auswählen, welches dieser Formate produziert und gesendet werden soll – das Format mit den meisten Stimmen wird dann umgesetzt.
Technisch gesehen wäre ein solcher Prozess kein Problem, es gibt ja bereits eine Vielzahl von Sendungen mit Zuschauerbeteiligung und Abstimmungen. Bestehende Software-Angebote im Bereich E-Partizipation müssten lediglich eingerichtet und angepasst werden, um das Experiment umzusetzen. Man könnte zusätzlich auch Anregungen von Zuschauern aufnehmen, indem man eine Kommentarfunktion zulässt und dadurch weitergehende Einflussmöglichkeiten auf den Produktionsprozess zulässt. Ein weiterer Vorteil sind die geringen Kosten: Die Einrichtung der Beteiligungsplattform sowie gegebenenfalls einige zusätzliche Mittel für die Exposés bzw. Pitches der Formatvorschläge sind nicht kostenintensiv.
Mehr Experimente wagen
Ein Einwand aus den Reihen der Öffentlich-Rechtlichen gegen ein solches Experiment könnte darin bestehen, dass die Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ja gerade darin besteht, die Präferenzen der Zuschauer zu ändern, und dass man befürchten müsse, dass dann Programme gesendet würden, die zwar dem Willen der Zuschauer, aber nicht dem öffentlich-rechtlichen Auftrag entsprächen. Einmal abgesehen davon, dass dies ein grundsätzlicher Konflikt ist, der innerhalb des öffentlich-rechtlichen Systems nicht lösbar ist, und dass die Jagd der Öffentlich-Rechtlichen nach Quoten mit diesem Argument ebenfalls nicht vereinbar ist, stellt dies hier kein Problem dar, da ja die Sender durch die Vorauswahl der zur Abstimmung gestellten Beiträge sicherstellen können, dass nur Beiträge produziert werden, die der Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht zuwiderlaufen.
Ein weiterer möglicher Einwand könnten vermutete geringe Beteiligungsquoten solcher Partizipationsverfahren sein. Dazu muss man anmerken, dass moderne Kommunikationsmethoden die Teilnahme an solchen Verfahren immer einfacher machen, die zahlreichen Online-Petitionen belegen dies. Ob vor allem die jüngere Generation, die solchen internetbasieren Verfahren gegenüber aufgeschlossen ist, sich an Entscheidungen im linearen Programm beteiligt, gilt es zu überprüfen. Nicht zuletzt liegt es auch an den Sendern selbst, das Experiment zu bewerben und es damit erfolgreich zu machen.
Man muss vermuten, dass ein solches Experiment in den Hauptsendern nicht realisierbar ist, da den Anstalten dazu wohl der Mut und die Reformfreudigkeit fehlen. In den Nebensendern wie zum Beispiel im von ARD und ZDF geplanten Online-Jugendangebot könnte man es sich hingegen gut vorstellen. Mit dem Experiment könnten valide Aussagen getroffen werden, ob die Akzeptanz der öffentlich-rechtlichen Anstalten und ihrer Angebote durch ein Beteiligungsinstrument, bei dem die Zuschauer zumindest im kleinen Rahmen über das Programm mit entscheiden dürfen, verbessert wird. Zudem ließe sich erproben, ob man auf diesem Weg dem Entdeckungswettbewerb um neue Formate neuen Schub geben könnte, was den Sendern helfen würde, ihr Image als Reformmuffel und Sachstandsverwalter abzustreifen.
Im Erfolgsfall des Experiments könnte ein weiterer Schritt darin bestehen, dass jeder Produzent und Journalist solche Exposés und Themenvorschläge anbieten kann, inklusive einer entsprechenden Kostenkalkulation, die den Zuschauern ebenfalls vorliegt. Nicht unwahrscheinlich, dass ein solches wettbewerbliches Verfahren interessante neue Formate hervorbringen würde. Marc Jan Eumann hat treffend formuliert: „Die Rundfunkgebühr kann mehr, wenn wir wollen.“ (11)
Ein gangbarer Weg herauszufinden, wie dieser Mehrwert am besten zu gewährleisten ist, können solche Experimente sein. Zunächst könnte man ein derartiges Experiment zeitlich befristen und einen festen Zeitplan sowie die einzuhaltenden Standards bei der Evaluation festlegen. Der ergebnisoffene Charakter des Experiments, ob eine neue öffentlich-rechtliche Zuschauerdemokratie dem Legitimationsproblem der Anstalten wirksam entgegentritt, wäre so gesichert. Einen Versuch ist es wert.
(1) Siehe Robert Schlegel/Wolfgang Seufert: Why pay more for less? A contingent valuation analysis of Germany’s PSM. Paper presented at the RIPE Conference 2012, Sydney.
(2) Siehe Volker Giersch: Ein nur noch seltenes Paar. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Jugend – Strategien gegen den Generationenabriss, in: „ARD-Jahrbuch 2008“, S. 23-29.
(3) 19. KEF-Bericht, 2014, S. 48, 143.
(4) BBC: Full Financial Statements 2012/13, S. 8. Zur Kritik am öffentlich-rechtlichen Internet-Engagement siehe auch: Hanno Beck/Andrea Beyer: Wo Politiker in der ersten Reihe sitzen, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 24. Mai 2008; Hanno Beck/Andrea Beyer: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk im Zeitalter der Digitalisierung, in: „Ordo. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft“, Band 61, 2010, S. 235-264.
(5) Vgl. Hanno Beck/Andrea Beyer (2013), Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk in der Krise: Reformbedarf und Reformoptionen, in: „Ordo. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft“, Band 64, 2013, S. 221-252.
(6) BVerfG, 1 BvF 1/11 vom 25. März 2014, Rn 87. Zu Pfadabhängigkeiten siehe auch: Christian Potschka: Towards a Market in Broadcasting. Communications Policy in the UK and Germany, Palgrave Macmillan, 2012.
(7) Vgl. Christian Herzog/Kari Karppinen: Policy streams and public service media funding reforms in Germany and Finland, in: „European Journal of Communication“, 29. Jahrgang, Nr. 4, 2014, S. 416-432.
(8) Hanno Beck/Andrea Beyer: Zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ein Vorschlag, in: „Wirtschaftsdienst“, 89. Jahrgang, Nr. 12, 2009, S. 827-834; Hanno Beck/Andrea Beyer: Rundfunkgebühr, Haushaltsabgabe oder Rundfunksteuer?, in: „Publizistik“, 58. Jahrgang, Nr. 1, 2013, S. 69-91.
(9) Vgl. Ulrich Hamenstädt: Die Logik des politikwissenschaftlichen Experiments, Springer VS, 2012.
(10) Ein Anhaltspunkt für dieses Argument findet sich im Steuersystem der Schweiz: Dort hat man festgestellt, dass in Kantonen mit direktdemokratischer Beteiligung 30 Prozent weniger Steuern hinterzogen werden als in Kantonen, die keine solchen Rechte kennen. Vgl. Hannelore Weck-Hannemann und Werner W. Pommerehne: Einkommensteuerhinterziehung in der Schweiz. Eine empirische Analyse, in: „Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik“, 125. Jahrgang, Nr. 4, 1989, S. 515-556.
(11) Siehe Reiner Burger: So wird die Zeitung öffentlich-rechtlich, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 24. April 2013.
Christian Herzog und Hanno Beck
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