Kurz vor den Bundestagswahlen erscheint Twitter als ein besonders nützliches Werkzeug, um Feedback von Nutzern oder Fernsehzuschauern zu bekommen. Augenscheinlich wurde das zuletzt während des TV-Duells – Auf vier Sendern live übertragen, inklusive Angebot auf dem jeweiligen Second Screen. 2000 Tweets zum hashtag #tvduell schossen durchschnittlich pro Minute durchs Netz, auf prosieben.de war in diesem digitalen Wasserfall keine einzige Meldung mehr lesbar, weil die Meldungen kontinuierlich und ungefiltert durch das dafür vorgesehene Anzeigefeld rauschten. Gleichzeitig wuchsen die Balkendiagramme zu den Hashtags #Merkel und #Steinmeyer um die Wette, allerdings ohne Unterscheidung zwischen Verwünschungen und Lobpreisungen oder Herkunft der Tweets.
Das Forschungsprojekt Tab4 am Zentrum Digitale Kulturen der Universität Lüneburg fischt aus dem rauschenden Informationsfluss von Twitter gezielt den politischen Diskurs heraus und ordnet ihn neu. Im Twitter Monitor werden Häufigkeiten von Hashtags und Ihre Quellen in Beziehung gesetzt. Damit tritt die Relevanz bestimmter Themen in Abhängigkeit von ausgewählten politischen Akteuren, Journalisten und anderen Gruppen in den Vordergrund. Der gesamte politische Diskurs auf Twitter wird transparenter: Für welche Themen steigt aktuell das Interesse? Wer sind die Meinungsmacher? In welchem Kontext und von welchen Akteuren werden die jeweiligen Themen diskutiert? – Davon können Sie sich aktuell auf Zeit.de ein Bild machen.
Von der knappen Million deutscher Nutzer äußern sich ungefähr ein Zehntel regelmäßig zu Politik. Twitter Monitor beobachtet davon die wichtigsten. Die Rangliste der top Zehntausend berücksichtigt neben der Anzahl der Follower, wie oft ein Nutzer erwähnt wird und wie viel sie oder er tweetet. Welche Themen als politisch relevant gelten, ergibt sich aus der Themen-Nachbarschaft zu vorgegebenen Stichwörtern. Das dynamische Berechnungsverfahren sorgt dafür, dass Hashtags wie #mollath oder #aufschrei automatisch aufgegriffen werden. In zwei Ansichten zeigt der Monitor eine kurz- und eine langfristige Auswahl von Themen, die wichtigsten in den letzten 48 Stunden und die wichtigsten seit Anfang August. Zu jedem Thema werden die Tweets dargestellt, die am häufigsten weitergeleitet wurden.
Im Detail schlüsseln die Ansichten auf, welche Nutzergruppen sich an der Diskussion am aktivsten beteiligt haben – Journalisten, Interessenverbände, Nutzer oder Politiker, letztere auch nach Parteizugehörigkeit geordnet. So lässt sich rekonstruieren, wo Debatten ihren Ursprung nehmen, wen welche Themen am meisten beschäftigen und wie sie von einer Nutzergruppe eingebracht und von anderen aufgenommen werden.
An der Entwicklung des Twitter Monitor im Rahmen des Projekts Grundversorgung 2.0 sind Stefan Heidenreich (CDC Leuphana Universität Lüneburg), Leonard Novy (Institut für Medien- und Kommunikationspolitik / CDC Universität Lüneburg) sowie Arno Dirlam und Frederik Fischer (tame) und der Designer Mark Wirblich (Agenturnetzwerk “We’re all in”) beteiligt.