Auch, wenn es erst einige wenige Beispiele gibt: Bei der elektronischen Bürgerbeteiligung tut sich etwas.
Während elektronische Beteiligungsangebote auf Bundes- und Länderebene noch keinen Durchbruch erzielen konnten, sind Angebote wie „Liquid Friesland“ vor allem in Städten und Gemeinden auf dem Vormarsch. Besonders Online-Bürgerhaushalte sind bereits fest etabliert.
Durch das Internet haben sich die Möglichkeiten direkter demokratischer Einflussnahme stark erhöht. Unter dem Oberbegriff E-Demokratie versammeln sich verschiedene onlinebasierte demokratische Beteiligungsverfahren und Formate wie E-Partizipation, E-Government, E-Voting, Online-Kampagnen und Petitionen. Dabei bestehen enge Verbindungen zum Konzept der Liquid Democracy.
Viele Städte und Gemeinden haben bereits E-Partizipationsangebote entwickelt. Dabei nehmen sie gegenüber Landes- und Bundesverwaltungen häufig eine Vorreiterrolle ein.
Im Kern geht es bei E-Partizipation um die Teilhabe von natürlichen und juristischen Personen an politisch-administrativen Prozessen der Entscheidungsfindung unter Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Dabei dienen E-Partizipationsangebote nicht der Aushöhlung der repräsentativen Demokratie, sondern sie können eine hilfreiche Ergänzung darstellen.
Auf kommunaler Ebene hat sich insbesondere die Einführung von Online-Bürgerhaushalten etabliert. Hier können sich Bürgerinnen und Bürger in die Haushaltsaufstellung und Mittelverwendung ihrer Stadt oder Gemeinde einmischen, indem sie selbst Vorschläge unterbreiten und andere Vorschläge bewerten. Die erfolgreichsten Vorschläge werden dann auf die Agenda der Stadt- oder Gemeinderatssitzungen gesetzt.
Zu Beginn des Jahres 2013 verzeichnete das Portal buergerhaushalt.org 274 Kommunen in der Karte der Bürgerhaushalte in Deutschland. Im Vorjahr waren es noch 237 Kommunen. Zuvorderst dienen Bürgerhaushalte dazu, ein Meinungsbild für politische Entscheidungsträger zu erheben. Inwieweit und in welcher Form dieses dann in der Kommunalpolitik zum Tragen kommt, unterscheidet sich von Fall zu Fall.
Das wohl bekannteste kommunale Beispiel für E-Partizipation ist die Online-Bürgerbeteiligungsplattform „Liquid Friesland“. Als erste Kommune weltweit nutzt der Landkreis Friesland in Niedersachsen seit November 2012 die Open-Source-Software LiquidFeedback zur Bürgerbeteiligung.
Von 83.314 wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern im Landkreis sind 556 auf der Plattform akkreditiert. Die auf Liquid Friesland zur Debatte gestellten Verwaltungsverfahren befassen sich zum Beispiel mit Themen wie dem Strandeintritt und Temporegelungen im Straßenverkehr. Dabei können die Friesländer Bürgerinnen und Bürger auch eigene Initiativen einbringen. Für die Kreistagsmitglieder werden durch die Plattform Meinungsbilder transparent, welche in ihre Diskussionen und Entscheidungen mit einfließen. Bürgerinnen und Bürger werden in die Arbeit von Politik und Kommunalverwaltung eingebunden, und ihnen eröffnen sich neue Dialogmöglichkeiten.
Nichtsdestotrotz müssen die auf der Plattform aufgeworfenen Themen noch den Weg durch die Kreistags-Gremien passieren. Etwa einem Viertel (23,5 Prozent) der insgesamt 69 Initiativen (53 abgeschlossen, 16 abgebrochen) wurde hier vollständig zugestimmt. Darüber hinaus wurden weitere 20,6 Prozent der Initiativen in ergänzter oder veränderter Form angenommen.
In einer aktuellen empirischen Studie zu Liquid Friesland schlussfolgert die Autorin Imke Diefenbach:
Der Aspekt der echten Einflussnahme sollte seitens der Politik dringend verbessert bzw. herausgestellt werden, damit die Ernsthaftigkeit von Liquid Friesland bestehen bleibt. Eine höhere Transparenz über die Verhandlungen und Entscheidungen der Gremien sowie die Veröffentlichung von Ergebnissen wären erste Schritte, dieser Kritik wirkungsvoll zu begegnen.
Transparenz und Offenheit in Bezug auf den Partizipationsprozess sind demnach wichtige Voraussetzungen für ein erfolgreiches E-Partizipationsangebot auf lokaler Ebene. Es gibt verschiedene Qualitäten von Bürgerbeteiligung an Planungsprozessen der öffentlichen Verwaltung. Diese müssen von Anfang an klar kommuniziert werden.
Die amerikanische Sozialwissenschaftlerin Sherry Arnstein hat hierzu mit ihrer „Stufenleiter der Bürgerbeteiligung“ bereits 1969 eine provokativ zugespitzte Typologie entwickelt.
Laut Arnstein gibt es zwei Abstufungen, bei denen Angebote unter dem Deckmantel der Beteiligung die Beeinflussung von Bürgerinnen und Bürgern zum Ziel haben oder lediglich eine Alibi-Beteiligung erlauben. Höhere Stufen auf der Leiter bezeichnen Information, Konsultation und Diskurs. In der mittleren Ebene der Stufentypologie bleibt es den Entscheidungsträgern überlassen, ob sie Anregungen und Initiativen aufnehmen oder nicht.
Partnerschaft ermöglicht Partizipation auf Augenhöhe. Die beiden höchsten Stufen bezeichnen Szenarien, in welchen Bürgerinnen und Bürger bei Abstimmungsverfahren über Mehrheiten verfügen oder gänzlich die Steuerung über den Planungsprozess und das am Ende stehende Resultat in der Hand haben. Die meisten bestehenden E-Partizipationsangebote dürften um den Bereich Konsultation herum anzusiedeln sein, es gibt also noch Entwicklungspotential.
Die Verbreitung von E-Partizipationsangeboten in Städten und Gemeinden, häufig als Ergänzung zu bestehenden analogen Beteiligungsmöglichkeiten, wird weiter voranschreiten. So folgen die niedersächsische Stadt Seelze und der Landkreis Rotenburg (Wümme) dem Beispiel Liquid Friesland und planen im Laufe dieses Jahres (Seelze) und des nächsten Jahres (Rotenburg) auf Liquid Feedback basierende Online-Bürgerbeteiligungsplattformen einzuführen. In der Stadt Wunstorf, ebenfalls in Niedersachsen, wird aktuell die Einführung einer derartigen Plattform diskutiert. Darüber hinaus hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag (S. 105) auf die Fahnen geschrieben, Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger an der politischen Willensbildung auszubauen und dabei digitale Plattformen mit einzubeziehen.
Bei dem Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete Version des Artikels Bürgerbeteiligung: Angebote der e-Partizipation ergänzen zunehmend herkömmliche Möglichkeiten, veröffentlicht in Der Gemeinderat 2/2014
Christian Herzog und Christian Heise
Crosspost von Carta
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