Gipfel-Quartal

Freunde des regen öffentlichen Austauschs über medienpolitische Fragen können sich nicht beklagen. Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Besetzung der ZDF-Aufsichtsgremien am 25. März hat eine Vielzahl von Konferenzen stattgefunden, auf denen vor allem Aspekte des beitragsfinanzierten Rundfunksystems diskutiert wurden. Eine Auswahl: Medientreffpunkt Mitteldeutschland in Leipzig, Media Convention/re:publica in Berlin, Medienforum NRW in Köln, Symposium der Historischen Kommission der ARD in Hamburg, Hamburger Mediendialog.

Politiker, Medienrechtler und andere Wissenschaftler, Branchenvertreter und nicht zuletzt Mediennutzer wurden dabei immer wieder vor dieselben Fragen gestellt. Wodurch ist das derzeitige öffentlich-rechtliche Angebot legitimiert? In welchem Verhältnis stehen Qualität und Quote? Ist die Tendenz zur Verspartung eine notwendige und wünschenswerte Reaktion auf die vorhandene Fragmentierung des Publikums? Wird andererseits durch Verspartung der Auftrag, die Allgemeinheit anzusprechen und größtmögliche Breitenwirkung zu erzielen, verspielt? Ist ein öffentlich-rechtliches multimediales Jugendangebot notwendig? Sind die öffentlich-rechtlichen Anstalten überhaupt die geeigneten Veranstalter für ein solches Angebot? Bedingt der Innovationsauftrag an die öffentlich-rechtlichen Auftragnehmer evtl. auch innovative Verfahren, wie z. B. transparente Ausschreibungen und Entscheidungen für neue Programmangebote?

Über die Weiterentwicklung von Online-Angeboten wurde erheblich weniger gesprochen. Der Medienwandel und auch der Nutzungswandel wird von den meisten Keynote-Rednern und Debattenteilnehmern aus der Perspektive des derzeitigen Fernsehens wahrgenommen. Die junge Generation sehe weniger fern, sie nutze Rundfunk kaum noch linear, sie benötige zur Markenbindung an den Rundfunk das crossmediale Angebot usw. Außerdem identifizieren viele Teilnehmer solcher Runden Online-Nutzung und „jung“, wobei die Grenze deutlich unter Vierzig gelegt wird. Für einen vierundvierzigjährigen Zeitungsredakteur ist das  nonlineare Nutzungsverhalten einer Siebenundzwanzigjährigen exotisch, und er beruhigt sich mit der Spekulation, sie werde in fünfzehn Jahren auch froh sein, nach der Arbeit zuhause aufs Sofa zu fallen und unangestrengt durchs TV-Programm zappen zu können. Dieser cultural clash wird in den Diskussionspanels nur selten konsequent ausgetragen. Es ist auch die Frage, in welcher Form dies lohnend wäre; ausssagekräftige Kohortenstudien liegen noch nicht vor, und Panel-Diskussionen sind im wesentlichen Plattformen für Ich-Perspektiven.

Zwei medienpolitische Ansagen bleiben haften: Die Siebentage-Regelung für die Verweildauer von Online-Angeboten ist „Quatsch“ (Olaf Scholz), und über eine Alternative zum derzeitigen Dreistufentest-Verfahren wird in den politischen Gremien nachgedacht (Jacqueline Kraege).

In der Revue der Gipfel-Konferenzen dieses Frühjahrs drängen sich jedoch auch noch zwei Beobachtungen auf.

Alle Konferenzveranstalter, ausnahmslos, folgen dem öffentlich-rechtlichen Diskurs, in dem es systemimmanent um Kollisionsvermeidung mit rechtlichen Rahmenbedingungen und allzu legitimen Positionen des Publikums geht. Mehr Qualität – dennoch Breitenwirkung – Depublizierung ist Quatsch. Die Gerichtsentscheidungen dieses Frühjahrs (nach dem ZDF-Urteil haben zwei höchste Ländergerichte den Rundfunkbeitrag uneingeschränkt bestätigt) verschaffen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem ein Höchstmaß an Stabilität. Diese Stabilität erscheint jedoch als unwirklich, da die Wandlungsprozesse, die von keinem Gericht und keinem Rundfunkrat aufgehalten werden können, ausgeblendet bleiben. Das technik- und nutzungsgetriebene „great unbundling“ der Medien, das in einem lesenswerten FCC-Report aus dem Jahre 2011(!) eindrucksvoll beschrieben wird, und der verfassungs- und medienrechtlich unklare Status der Online-Medien lassen einen großen Teil des erwähnten Diskurses als Makulatur erscheinen. Wenn Online-Medien weder Massenkommunikation noch Individualkommunikation sind, wie der Rechtswissenschaftler Thomas Vesting in mehreren klugen Beiträgen herausgearbeitet hat (übrigens: wie peinlich ist das eigentlich für uns indigene Medienwissenschaftler?), dann sind alle Fragen von der Rundfunk- oder Presseähnlichkeit von Online-Angeboten bis hin zur Messbarkeit von Vielfalt neu aufzurollen. Dies ist zur Zeit ganz sicher nicht mit den führenden Vertretern des öffentlich-rechtlichen Systems, sondern eher mit solchen Rechtswissenschaftlern und Politikern möglich, die sich über vorhandene Diskursgrenzen hinauswagen. Wer dieses tut, für den ist natürlich auch weder eine öffentliche Ausschreibung von neuen Programmangeboten wie eines multimedialen Jugendangebots noch das Nachdenken über Alternativen zum behördenähnlichen Status des öffentlich-rechtlichen Apparats selbst ein Tabu.

Die zweite Beobachtung gilt der Community der Diskutierenden und Interessierten selbst. Es gibt zwei- bis dreihundert aktive Teilnehmer, die sich immer wieder die Podiumsplätze teilen und mitunter froh sind, wenn endlich mal ein neues Gesicht in einem Panel auftaucht. Aber auch ihre (anwesenden und virtuellen) Adressaten sind nicht die Vertreter der Allgemeinheit, sondern einer eng begrenzten, zudem fraktionierten Fachöffentlichkeit, für die akklamationsfähige Statements entwickelt werden. Zwischen Vertretern netzaktivistischer Strömungen, Rundfunkpolititikern und Vertretern der Medienproduzenten gibt es naturgemäß nur partielle thematische Überschneidungen. Bei gelegentlichen (man muss wohl sagen: meist ungewollten) Zusammentreffen gibt es auch kaum Interesse am Dialog, an der Entwicklung überbrückender Überlegungen, sondern es herrscht eine Niederringungs-Rhetorik, die  billigste Argumente benutzt (232 Minuten Fernsehen! – Sharing Spirit!!). Der Meinungsaustausch ist nicht nur auf die Informationselite begrenzt (zwei Prozent der Bevölkerung), sondern berücksichtigt meist auch nur zwei bis fünf Prozent der Mediennutzer, deren Gewohnheiten und Perspektiven. Es wäre schön, einmal einen nachdenklichen Austausch erleben und mitgestalten zu können, bei dem Offenheit nicht nur für Innovation, sondern auch für die Bedürfnisse breiter Publikumsschichten waltet. Die MDR-Rundfunkratsvorsitzende Gabriele Schade verwies in einer der vielen Diskussionen auf die durchaus rege Nutzung der Kanäle für Eingaben und Beschwerden bei ihrem Rundfunkrat. Die meisterhobene Forderung – auch aktuell im Frühjahr 2014: mehr Volksmusik im Programm.

2 Responses to Gipfel-Quartal

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