Die am 17.10.2014 getroffene Entscheidung der Ministerpräsidentenkonferenz über das seit mehreren Jahren diskutierte crossmediale Jugendangebot von ARD und ZDF ist ein großer Schritt nach vorn. Aus den Etats von ARD und ZDF werden 45 Mio Euro freigemacht für ein neues Online-Angebot. Gleichzeitig werden zwei Fernsehkanäle, die im Bereich von 0,1 Prozent Reichweite herumgeisterten, eingestellt. Auf die Gründung eines neuen gemeinschaftlichen Fernsehkanals wird verzichtet. Dies ist die eigentliche frohe Botschaft. Denn dieser Verzicht erzwingt eine neue Konzeption des Angebots, das offenbar bislang als öffentlich-rechtliches Viva konzipiert war: Ein Fernsehkanal, gespeist durch Ideen und Moderatoren aus den Jugendwellen, ergänzt durch allerlei kommunikative Begleitmusik in diversen Online- und Mobile-Kanälen. Ohne einen solchen Fernsehkanal muss das Angebot aus einer anderen Perspektive entwickelt werden, und genau das sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin in ihrer Stellungnahme zur Entscheidung. Das Konzept eines an den Nutzungsgewohnheiten der jungen Generation orientierten Angebots muss nun bis zum Start im Jahre 2016 erarbeitet werden.
Wer hat sich hier eigentlich durchgesetzt? In den Vorberichten zur Ministerpräsidentenkonferenz war viel von den konservativen, im Hinblick auf öffentlich-rechtliche Etats äußerst sparwilligen Regierungen von Sachsen, Hessen und Bayern die Rede. Diese waren offenbar der Ansicht, das neue Angebot sei nutzlos und daher zu teuer. Im Hinblick auf den Fernsehkanal hatten sie damit gewiss auch recht. Allerdings ist die Idee eines Online-only-Kanals nicht in der sächsischen Staatskanzlei geboren worden. Sie geisterte höchst lebendig schon in den Köpfen und Diskussionsbeiträgen von Politikern wie Kraege, Eumann und Brosda herum – von denen hier im Frühjahr bereits berichtet wurde. Diese Politiker scheinen tatsächlich nun die öffentlich-rechtlichen Supertanker vor sich her treiben zu wollen. Die Abschaffung der Sieben-Tage-Regelung nicht nur für das neue Jugendangebot und eine staatsvertragliche Beauftragung, die einen Dreistufentest überflüssig macht, sind hoffnungsvolle Zeichen.
Der Diskussionsverlauf der letzten Jahre und aktuelle Stellungnahmen zeigen jedoch auch, gegen welche Kräfte neue medienpolitische Entwicklungen durchgesetzt werden müssen. Für die Führungen der Sender ist und bleibt die TV-Quote die medienpolitische Richtschnur. Die konsequente Verjüngung des Fernsehprogramms, die sowieso verpasst wurde (obwohl ProSieben zeigt, dass erfolgreiches „junges“ Fernsehen immer noch möglich ist) wird von ihnen abgelehnt, weil dann das Senioren-Stammpublikum verloren gehen könnte. Wohin sollten die denn abwandern – könnte man hier fragen. Doch höchstens zu den eigenen Dritten Programmen. Aber auch das ist unerwünscht, weil dann das Erste seinen vorderen Platz im Quotenranking zumindest zeitweilig verlöre. Eine zweite gesellschaftliche Kraft, die sich bis zuletzt für ein fernsehorientiertes Jugendangebot eingesetzt hat, sind die Gewerkschaften. Diese Beobachtung muss bedenklich stimmen. Denn die Gewerkschaften vertreten nicht die Führungen der Sender, sondern deren Mitarbeiter, und ihre Stellungnahmen sind auch ein Ausdruck der Medienkompentenz und des Orientierungswillens dieser Mitarbeiter. In Gesprächen mit vierzigjährigen Redakteuren (wie auch den ihnen zuliefernden Fernsehproduzenten) wird leider immer wieder deutlich, wie professionelle Deformationen funktionieren. Kaum ist der Redaktionssessel erklommen, kann es nur noch ums Weitermachen wie bisher gehen und ist der gutdotierte Ruhestand die einzige berufliche Perspektive.
Die Entscheidung für ein Online-Jugendangebot wirft auch einige Fragen auf, deren Lösung nicht schon mitgeliefert wurde. Ein Jugendprogramm ohne aktuelle populäre Musik ist undenkbar. Urheber- und verwertungsrechtliche Regelungen für lineare Kanäle lassen zu, dass z. B. Hörfunk-Streams auch im Web „gesendet“ werden. Aber im Web herrscht die Nicht-Linearität. Bislang verzichten die Sender konsequenterweise auf Musik in ihren nicht-linearen Angeboten, was sicher zur Begrenzung ihres ohnehin nur schmalen Erfolgs beiträgt. Hier ist also ein echter Durchbruch zu schaffen. Der Erwerb von Rechten für non-lineare Angebote bzw. deren Verhandlung mit den Verwertungsgesellschaften wurde bislang vermieden. Abgesehen von rechtlichen und verhandlungstechnischen Komplikationen wird vor allem das unkalkulierbare Risiko einer Abrechnungspflicht nach Abrufzahlen gefürchtet: Je erfolgreicher, desto teurer. Sinnvoll erscheint hier demnach eine kalkulierbare Pauschale. Ob die Sender aufgrund ihrer traditionellen Orientierung (Online darf gern mitlaufen, aber keinen Ärger machen) die Energie aufbringen, hier eine echte Reform bewirken zu wollen, bleibt abzuwarten.
Grundsätzlich stellt sich weiterhin die Frage nach der langfristigen Strategie des beitragsfinanzierten Systems. Die für das Jugendangebot veranschlagten 45 Mio. Euro machen 0,5 Prozent des Beitragsaufkommens aus und können daher nicht einmal den Sockel für eine dritte Säule des Medienangebots schaffen. Die meisten anderen Online-Angebote erfüllen immer noch eher eine PR-Funktion für das Fernseh- und Hörfunkprogramm (mit einigen starken Ausnahmen im Hörfunkbereich). Die potentielle Akzeptanz für Online-Programmangebote geht sicher weit über jugendliche Zielgruppen hinaus, und in einem urheberrechtlichen Verhandlungspaket sollte auch die Verwertbarkeit von Archivinhalten bedacht werden, mit denen die Öffentlich-Rechtlichen ihre Qualität als Kulturfaktor eindrucksvoll unter Beweis stellen könnten.
Interessant wird auch der Vergleich mit den Entwicklungen bei der BBC sein. Der vor mehr als 10 Jahren als Multimedia-Kanal für 16- bis 34-Jährige konzipierte Fernsehsender BBC Three, der über einen Jahresetat von 100 Mio. Pfund verfügt, wird mit verringertem Etat ab Herbst 2015 in ein reines Online-Angebot umgewandelt. Vielleicht belebt der Blick über den Kanal die hiesigen Überlegungen.