Sechs Einwände gegen das Jugendangebot von ARD und ZDF
Am Anfang war das soziale Netzwerk. Die Website des damaligen SWF3 (heute SWR) entstand aus einem Diskussionsforum im Fido-Netz und mutierte Anfang 1995 zur offiziellen Vertretung dieser damals noch jungen Radiowelle. Auch Fritz.de und die Website von Radio Bremen 4 entstanden außerhalb der Sender, aus der Mitte der jungen Netzkultur. Dann erfolgten die offiziellen Gründungen in Bayern, Bremen, Hessen usw., schließlich auch im Sommer 1996 die der ard.de. Die Kommunikation mit den Nutzern trat nun in den Hintergrund. Immerhin jedoch blühten auf einigen dieser Websites eigenständige Produktionen auf: eigens für das Web konzipierte Features und Kurse, dazu umfangreiche Beratungsangebote wie die Datenbank des ARD-Ratgebers Recht. Wir hätten heute geringere Sorgen, wenn es dabei hätte bleiben dürfen. Aber auf dem öffentlich-rechtlichen Großtanker entwickelte sich erst ein Verständnis des Medienwandels und seiner Folgen für die Zukunftsfähigkeit des Rundfunks, als schon ein völlig anderer organisatorischer und rechtlicher Kurs vorgezeichnet war. Die Internet-Angebote laufen im Beiboot von Radio und Fernsehen mit, aber speziell der Kontakt zur jüngeren Generation ist längst abgerissen.
Nun will die Medienpolitik mit dem Online-Jugendangebot, das gegen den Widerstand der Sender durchgesetzt wurde, das seit zwanzig Jahren systematisch aufgegebene Terrain zurückgewinnen. Die wichtigsten Absichten dieser Initiative: Bindung der unter 35-Jährigen an das beitragsfinanzierte System, Markenbildung für Qualitätsinhalte im Web und im Mobile-Bereich, neue, „junge“ Impulse aus Online-Produktionen für Radio und TV. Dies wird medienpolitisch und medienrechtlich gerahmt durch den Public-Value-Auftrag an das öffentlich-rechtliche Programm.
Das von ARD und ZDF verabschiedete Konzept wird nun einer öffentlichen Konsultation unterzogen, bei der von Vertretern korporierter Interessen sicher nichts Neues vorgebracht wird. Interessanter wären da schon Stellungnahmen junger Mediennutzer. Kaum zu erwarten ist jedoch, dass eingefleischte ProSieben-Zuschauer und Youtube-Nutzer ein Interesse an einer Äußerung haben, abgesehen davon, dass sie sich dazu auf eine Website des Landes Sachsen-Anhalt verirren müssten.
Ich nenne hier sechs Schmerzpunkte des Konzepts, an denen es – sollte es keine größeren Korrekturen geben –, vermutlich scheitern wird.
1. Die Online-Medien werden, nach einigen Grundsatzerklärungen, im inhaltlichen Teil des Konzepts im wesentlichen als Verbreitungsmedien verstanden. Wenn Kommunikation stattfinden darf, dann über die bereits verteilten Inhalte. Der für die Vergabe des Grimme-Online-Awards an unser Teilprojekt „HyperboleTV“ entscheidende Faktor war – so die Begründung der Jury: „Aktuelle Themen werden pointiert und modern in Bewegtbild übersetzt, der Diskurs dazu über sämtliche Social-Media-Kanäle angefeuert und das Feedback wiederum in die eigenen Formate eingespeist.“ Die Einbindung der Formatentwicklung in die Nutzerkommunikation ist eine Marke, die das Konzept des Jugendangebots klar verfehlt.
2. Comedy, Gaming, Interaktion, Datenjournalismus: Alle Schlagworte aus journalistischen Debatten der letzten Jahre tauchen im Konzept auf, und mit all diesen Merkmalsangeboten (um nicht zu sagen: Tricks) soll die junge Zielgruppe an die journalistische Substanz der öffentlich-rechtlichen Arbeit herangeführt werden. Gescheiterte Versuche wie die Wochenwebschau, heute+ und der WDR-Youtube-Kanal #dreisechzig, deren Nutzung kaum über die eigenen Redaktionen hinausreicht, zeigen jedoch, dass das Bemühen um „Authentizität“ im administrativen Gefüge der Sender zerschrotet wird, und am Ende kommt ein bemühtes Berufsjugendlichentum heraus.
3. Die Idee, zunächst ein „Content-Netzwerk“ aufzubauen und nicht, jedenfalls nicht ausschließlich, ein Portal, hat überzeugende Seiten. ARD und ZDF hilft es bei der Zielgruppe nicht weiter, wenn Angebote mit diesen Dachmarken gelabelt werden. Bedenklich erscheint mir jedoch auch hier die Betonung der Angebotsseite und die Vernachlässigung der Kommunikationspraxis und -methodik, von der die Akzeptanz vermutlich mehr abhängt als von einem guten Gesicht oder gelegentlichen viralen Inhalten. Bestätigt wird dieses Bedenken im Abschnitt „Partizipation der Zielgruppe“, in der die Einbindung von Youtube-Stars und mitlaufende Nutzungstests angedeutet werden. Die Bereitschaft zuzuhören wird in eine indirekte Sphäre verschoben, für den direkten Austausch mit den Nutzern der diversen Online-Plattformen scheint es (bislang) keine Idee zu geben.
4. Einen echten Eiertanz vollführen die Autoren des Konzepts im Abschnitt „Erfolgsmessung“: Quantitative Kriterien sollen die Erfolgsbewertung nicht allein bestimmen – und dann werden doch wieder ausschließlich quantitative Messmethoden angedeutet. Es fehlt jegliches Gespür dafür, dass die Orientierung an Klickraten, die im Dschungel der vielfältigen Internet-Angebote ohnehin nicht mehr die Fernsehquoten der 1970er Jahre erreichen, die Glaubwürdigkeit des Jugendangebots beschädigen muss. Die Relevanz eines Angebots könnte – parallel – auf zwei Wegen ermittelt werden: durch die direkte Kommunikation mit den Nutzern und durch eine regelmäßige, unabhängige medienwissenschaftliche Begutachtung.
5. Das Jugendangebot soll die junge Zielgruppe perspektivisch an das gesamte beitragsfinanzierte Angebot heranführen. Diese Perspektive entbehrt nicht der Absurdität. Das Auftrags- und Programmverständnis der traditionellen Medien bleibt unangetastet. Wenn das Jugendangebot für dieses System eine Chance bieten soll, dann doch wohl diese, dass Fernsehen und Radio an das Internet und seine Nutzer herangeführt werden. Ihm die Bahnung des Rückwegs der Internetnutzer auf die Fernsehcouch ins Aufgabenheft zu schreiben, ist eine Todesdrohung für beide Seiten: für das Jugendangebot selbst und für den traditionellen öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
6. Schließlich ist auch der Rahmen des Angebots zu bedenken. Die anfangs genannten Ziele – Akzeptanz, Markenbildung, Programmimpulse – sind ein guter Auftrag für das gesamte beitragsfinanzierte System. Dieses aber denkt nicht daran, eine Transformationsstrategie zu entwickeln. Radio und Fernsehen müssten um ihres eigenen Bestandes willen lernen, sich als Internet-Medien zu begreifen. Es dürfte keine redaktionelle Entscheidung geben, bei der Online und Mobile keine Rolle spielen (dann wäre übrigens auch das Problem des „Sendungbezugs“ von Online-Angeboten vom Tisch). Es bedarf keiner allzu finsteren Phantasie, um zu prognostizieren, dass das neu geschaffene 43-Millionen-Feigenblatt das Nachdenken über die Transformation des Gesamtsystems wieder um einige Jahre verschieben wird. Damit hätte die Politik dem von ihr gewollten System einen Bärendienst erwiesen. Der Rundfunkbeitrag ist nicht in Stein gemeißelt, und Initiativen zur Reduktion des teuersten und ineffektivsten Public Service der Welt (wie einige Kritiker vorrechnen) könnten in Windeseile Erfolg haben.