Author Archives: Andreas Bernard

Der nackte Mensch und seine Geschichte
Über den Katalog der unpfändbaren Dinge

Pfändungsmarke des Gerichtsvollziehers. Schwiebus i.Nm. ca 1920

Pfändungsmarke des Gerichtsvollziehers. Schwiebus i.Nm. ca. 1920. Abb. von m.joedicke unter CC-NC-SA.

In einem Raum des Verwaltungsgerichts Gießen findet im Juli 2011 eine von der Öffentlichkeit unbemerkte, aber dennoch folgenreiche juristische Entscheidung statt. Zum ersten Mal in Deutschland wird der Computer eines Schuldners grundsätzlich für unpfändbar erklärt. Ein arbeitsloser Mann, dessen Notebook bei einer Zwangsvollstreckung beschlagnahmt wurde, klagt auf Herausgabe des Geräts, weil er es zur Bewerbung bei verschiedenen Arbeitgebern benötige. Der Richter gibt ihm recht und beruft sich auf ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach „informationstechnische Systeme allgegenwärtig und für die Lebensführung vieler Bürger von zentraler Bedeutung seien“. Noch im Jahr 2007, im „Münchner Kommentar“ zur Zivilprozessordnung, galt der Computer als „grundsätzlich pfändbar“, zählte also zu den luxuriösen Gegenständen, die ein Gerichtsvollzieher konfiszieren kann. Vier Jahre später hat sich diese Bewertung ins Gegenteil verkehrt: Computer und Laptops zählen nun, wie das Radio, der Fernseher oder auch der Kühlschrank und die Waschmaschine, zu den unerlässlichen Bestandteilen des Haushalts.

Worin besteht eine menschenwürdige Existenz? Und bis zu welcher Schicht kann der gepolsterte Überfluss des täglichen Lebens abgetragen werden, bis nichts als ein Gerüst der Notwendigkeiten übrig bleibt? Continue reading