Krise, Normalität und die Zukunft des Journalismus

Die Auseinandersetzung mit Zustand und Zukunft des Journalismus war in den letzten Jahren – Ausnahmen bestätigen die Regel – dominiert von einer Rhetorik des Niedergangs. Dabei gehört die Klage über den Qualitätsverfall der Medien zum Standardrepertoire publizistisch-medialer Selbstbetrachtung. Debatten über die Fragmentierung der Medienlandschaft, Qualitätsverlust, Verflachung und die vermeintliche Erosion der Integrationskraft der Medien lassen sich jedenfalls mindestens seit Mitte der 1980er beobachten – einer Zeit, in der im Übrigen beispielsweise im Zeitungsgeschäft mit Veränderungen im Nutzungsverhalten und abnehmender Zeitungsverbreitung bereits eine Reihe von Anzeichen für Konsolidierungs- und Abwärtstrends sichtbar waren, Verlage aber noch sehr profitable Unternehmen waren.

Neu ist die Kritik insofern, als sie vor dem Hintergrund eines tatsächlich tiefgreifenden Strukturwandels verhandelt wird, der maßgeblich, aber nicht ausschließlich mit der Verbreitung digitaler Medien zu tun hat und der Medienunternehmen weltweit, insbesondere die Verlagsbranche, vor gravierende Anpassungsprobleme stellt. Die Wirtschafts- und Finanzkrise, die die traditionell besonders von der konjunkturellen Entwicklung abhängige Medienbranche hart traf, tat ihr übriges. Zwar fanden der dramatische Abwärtstrend und der radikale Umschwung von Print zu Online, wie ihn beispielsweise die US-Amerikaner erlebt haben, in Europa keine Entsprechung, doch manifestieren sich in den Entwicklungen des US-Medienmarktes strukturelle Herausforderungen, mit denen sich Branche weltweit konfrontiert sieht. Auch in Deutschland werden die Mittel für kosten- und personalintensive Segmente wie den Lokal- und Auslandsjournalismus, für Arbeitsweisen wie investigativen Journalismus, aber auch für Ausstattung, Ausbildung und Innovation knapper. In vielen anderen Märkten, darunter Frankreich, wo France Soir und La Tribune eingestellt wurden, England, Japan oder Spanien, bietet sich ein ähnliches Bild. Radio- und Fernsehanbieter schienen von diesen Entwicklungen lange weniger getroffen. Doch konkurrieren auch sie mit zahllosen Anbietern um Aufmerksamkeit und Erlöse, während neue, durch höhere Übertragungsgeschwindigkeiten erst möglich gewordene On demand-Angebote das traditionell lineare Verständnis von Rundfunkprogrammen grundsätzlich in Frage stellen. 

Diese Entwicklungen haben nicht nur ökonomische Implikationen. Denn Medien sind nicht irgendein Produkt oder irgendeine Industrie; der Fernseher ist eben kein Toaster mit Bildern, wie es ein Reagan-Berater in den medienpolitischen Debatten der 1980er einmal behauptete. Sie sind nach Isiah Berlin ein zentraler Teil unserer „allgemeinen Erfahrungsstruktur“, sind Kommunikationsmittel und Bindeglied moderner Gesellschaften. Letztlich geht es um die Funktionsfähigkeit von Öffentlichkeit – der kommunikativen Infrastruktur unserer Demokratie. Medien, Politik und Zivilgesellschaft insgesamt müssen sich ihm stellen.

Als „Diskurs- und Wahrnehmungsphänomen“ beschreiben Krisen nach Gerhard Schulze einerseits das empirisch Wahrnehmbare, andererseits das – wenigstens implizit – Wünschenswerte. Denn meist mit Krisen verbunden ist die „Hoffnung auf Besserung und Rückkehr zu einem akzeptierten, gewünschten Normalzustand“. Was nun ist der Maßstab, die theoretische Referenz und empirische Basis, auf Basis derer Krisendiagnosen zu Zustand und Entwicklungstendenzen des Journalismus gestellt werden? Mit anderen Worten: „Was ist eigentlich das Normale?“ Diese Frage ist letztlich nur normativ zu beantworten. Es ist die Frage danach, „wie viel“ und welche Art Journalismus sich eine Gesellschaft wünscht und leisten möchte, in welchem Maße sie einer Ökonomisierung von Nachrichten- und Medienangeboten entgegentreten und inwieweit sie das privatwirtschaftlich bereitgestellte Medienangebot durch schlagkräftige öffentlich-rechtliche Strukturen (oder auch neue zivilgesellschaftliche Formen der Finanzierung und Produktion von Journalismus) ergänzen will. Diese Debatte – wie auch die Diskussion über Anspruch, Ausgestaltung, und Leistung der deutschen Medienordnung insgesamt – muss gesellschaftlich geführt und fachpolitisch durch die Medienpolitik unterfüttert und vorangetrieben werden.

Doch steht der Diskurs zu den Dysfunktionalitäten des Journalismus und seinen Perspektiven unter dem Vorzeichen der Digitalisierung in einem eklatanten Missverhältnis zur Tragweite der technologischen und soziokulturellen Umbrüche, die unsere Gesellschaft erfasst haben, zu den sich daraus ergebenden Risiken und Chancen sowie zu der Notwendigkeit, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, worum es eigentlich geht: Geht es um das bedruckte Papier als Datenträger? Um die Kulturform des Journalismus in der Prägung des 20. Jahrhunderts? Oder nicht doch um die Frage, wie ein kritischer, unabhängiger und bestimmten professionellen wie ethischen Standards verpflichteter Journalismus seinen Funktionen für die Demokratie auch in Zukunft, unter sich verändernden technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, gerecht werden kann?

Medien und Journalismus sind in Deutschland mehr denn je ein Nischenthema, Gegenstand hochspezialisierter Fachdebatten oder eitler Nabelschau. Ironischerweise scheinen just die medienpolitischen Debatten der letzten Jahre das kulturpessimistische Lamento von der Fragmentierung und Desorientierung der Öffentlichkeit zu bestätigen – zu recht kritisierten Lutz Hachmeister und Thomas Vesting in der Funkkorrespondenz (13/2011) das Fehlen einer umfassenden Debatte über Status Quo und Perspektiven unserer Medienverfassung. Die Zeit der großen Auseinandersetzungen der 1970er und 80er Jahre, als der medienpolitische „Urknall“, die Einführung des Privatfernsehens, lebhafte Diskussion über die Risiken der Medialisierung zur Folge hatte, sind jedenfalls vorbei. Nur punktuell, aus Anlass von Gebührenerhöhungen, Urheberrecht und Talkshowflut oder wenn es um Eingriffe in die Medienfreiheit durch autokratische Regime geht, sind Medien und Journalismus Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Dabei ist eine grundsätzliche Auseinandersetzung damit – und nicht zuletzt mit der Zukunft der Grundversorgung – notwendiger denn je. Schließlich ist das Konzept des professionellen, überparteilichen, unabhängigen Journalismus historisch betrachtet eine relativ neue, und keineswegs unangefochtene Errungenschaft. Und obwohl er demokratiepolitisch als sine qua non gilt, heißt das nicht, dass wir seinen Fortbestand als gegeben betrachten können. Akteure in Medien, Politik und Zivilgesellschaft müssen sich den massiven Umbrüchen in der Medienbranche stellen – und gemeinsam die normativ wie praktisch entscheidende Frage beantworten: welchen Journalismus wir uns leisten wollen.

Teile dieser Überlegungen basieren auf: Leonard Novy (2012), Vorwärts (n)immer? Normalität, Normativität und die Krise des Journalismus, in: Leif Kramp, Leonard Novy, Dennis Ballwieser, Karsten Wenzlaff (Hrsg.), Journalismus in der digitalen Moderne, Wiesbaden (VS Verlag), im Erscheinen

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