Es ist kein Geheimnis mehr: Wir leben in einer Remixkultur. Kopieren, Ausschneiden und Einfügen sind nicht nur Standardfunktionen von Computerprogrammen, sondern schreiben sich tief in unsere Kultur ein. Texte, Bilder und Musik anderer Autoren oder Künstler gelten zwar seit jeher als Inspirationsquelle und Material für die Entstehung neuer Werke, im digitalen Zeitalter sind sie jedoch wesentlich zugänglicher geworden und können gleichzeitig verlustfrei kopiert und verbreitet werden. Das Internet ist Materialquelle und Publikationsplattform zugleich. Egal ob es sich um Reiseberichte, Kochanleitungen, Nachrichtensendungen, Einkaufslisten, DJ-Sets, Fernsehserien oder Gedichte handelt – Plattformen wie Google, Facebook oder Youtube stellen in einem Wimpernschlag einen individuellen Mix aus gesuchten, angesagten und empfohlenen Medien zusammen. Nie war es einfacher und naheliegender, veröffentlichte Werke in neuen Zusammenhängen wiederzuverwenden. Was sich auf den Web-Plattformen vollzieht, ereignet sich auch in den einzelnen medialen Produkten – kein Werk, das nicht Anleihen von anderen in sich trägt – kein Werk, das aus der Nähe betrachtet nicht als Bearbeitung, Verwandlung, Kopie, Weiterentwicklung oder Verweis gelten kann.
Insbesondere auf Youtube können wir Zeuge einer in vielerlei Hinsicht musikalisch geprägten Kultur der Aneignung und Bearbeitung bereits veröffentlichter Werke werden. Die Entwicklung dieser Kultur wird durch eine Rechtsprechung ausgebremst, die insbesondere in Deutschland unter dem Vorwand des Schutzes der Urheber – der Künstler, Musiker, Autoren – das ungefragte Zusammenmischen originärer Inhalte verbietet. Nach geltendem deutschen Urheberrecht ist bereits die unautorisierte Verwendung kurzer Ausschnitte unzulässig, unabhängig davon, ob daraus ein eigenständiges Werk entsteht, ob ein finanzieller Gewinn angestrebt wird oder ob ein Schaden für den Urheber entsteht. Dabei ist kreatives Kopieren und Wiederverwenden, wie der Journalist Dirk von Gehlen (2011) in seinem Buch „Mashup: Lob der Kopie“ umfassend darstellt, eine grundlegende und durchaus lobenswerte Kulturtechnik unserer Gesellschaft. Die Praxis der Internetnutzer, Musiker und Youtube-Produzenten spricht dementsprechend eine andere Sprache als das geltende Urheberrecht. Eine weit verzweigte Kultur der Kopie und Collage, technische Innovationen sowie vernetzte Online-Identitäten bedingen vielschichtige Ausdrucksformen.
Von der Collage zu Mashup und Remix
Begriffe wie Collage, Mashup und Remix bezeichnen die Wiederverwendung unterschiedlicher Medienobjekte. Die Collage, wie wir sie kunstgeschichtlich aus den Werken von Georges Braque, Pablo Picasso oder Hannah Höch kennen, ist ursprünglich vom Einsatz verschiedener Materialien wie Zeitungspapier, Sand, Kohle oder Tapete und dem Bearbeiten mit klassischen Werkzeugen wie Schere und Pinsel geprägt. Auf ihrem Weg ins digitale Zeitalter entwickelt sie sich über Werke wie Walter Ruttmanns Ton-Montage „Weekend“ von 1931 und über die Tonband-Montagen der Musique Concrète während der 1950er Jahre.
.Im Digitalen bezeichnet sie schließlich als Metapher nur noch vage das Zusammenmischen von Inhalten aus unterschiedlichen Kontexten und tauscht ihre Materialität gegen die grafischen Oberflächen von Computerprogrammen – Photoshop löst Schere ab, DAWs (Digital Audio Workstations) ersetzen Bandmaschinen. Willkommen in der Copy-and-Paste-Kultur, willkommen im Zeitalter des Mashup.
Das Zusammenmischen von Texten, Bildern, Sounds und Videos wird dynamisch. Webseiten bauen sich auf Anfrage nach den Vorlieben ihrer Nutzer oder Produzenten auf. Datensätze werden verknüpft. Playlists werden in Sekundenbruchteilen auf Nutzeranfrage erstellt, Aufnahmen gehen direkt vom Smartphone in die Cloud, werden auf Karten verortet und mit anderen Nutzerdaten geteilt und vermischt. Dies ist das Spielfeld, auf dem originäre Werke zu Materialien für den Remix werden.
Remix: Dub und Dj-Kultur
Remix ist allerdings kein ausschließlich digitales Phänomen, auch wenn es anhand der wegweisenden Auseinandersetzung mit dem Urheberrecht bei Autoren wie dem Creative-Commons-Erfinder Lawrence Lessig (2008) so klingen mag. Streng genommen ist Remix auch kein medienübergreifendes Phänomen, sondern ein musikalisches. Die Tradition des Remix ist vorrangig in der DJ-Culture zu finden, die ihren Ursprung auf den Dub-Partys in den Dancehalls auf Jamaica hatte.
Im Mittelpunkt dieser Partys standen einschlägige Bass- und Schlagzeug-Grooves mit hohem Wiedererkennungswert beim Publikum. Der DJ oder auch Selector mischte die sogenannten Riddims nahtlos ineinander und manipulierte sie mit analogem Mischpult und Effekten. Zusätzlich forderte der sogenannte Toaster mit seinem Sprechgesang zum Mitsingen und Tanzen auf. Soundsystem-Betreiber wie King Tubby oder Lee Scratch Perry sind die bekannten Meister dieser Remixkultur. Die alleinigen Verwertungsrechte an den verwendeten eingespielten Musikstücken, Riddims und Vocals lagen dabei traditionell beim Aufnahme-Studio.
Diesen ungewöhnlich radikalen Umgang mit Urheberrechten verbunden mit der neuen Aufführungspraxis bereits veröffentlichter Tonträger bezeichnet der Musik- und Medienwissenschaftler Rolf Großmann (PDF) als den „Kern einer grundsätzlich neuen künstlerischen Herangehensweise an die phonographische Produktion, an Mehrspuraufzeichnung, Mix und das Verhältnis von Live-Darbietung und aufgezeichneter Musik.“
Der Moog-Synthesizer in der Hosentasche
War vor ein paar Jahrzehnten der Umgang mit Tonstudiotechnik noch ausgewiesenen Experten vorbehalten, so lassen sich heute viele entsprechende Vorgänge der Musikproduktion von jedem Smartphone-Nutzer aus der Hosentasche zaubern. Den legendären Moog-Synthesizer finden wir hier genauso kompakt wieder wie komplette Aufnahme- und Arrangier-Systeme oder virtualisierte Turntables in Form von mobilen Apps wie Intua Beatmaker, Apple Garage-Band oder NI Traktor DJ. Dabei kommen diese Programme ihren Vorfahren klanglich sehr nahe.
Ganz ähnlich zeigt sich das auch in anderen Bereichen der Medienproduktion wie Bildbearbeitung oder Videoschnitt. Die unter der Oberfläche ablaufenden Operationen der Geräte sind zwar komplex und ihre Möglichkeiten vielfältig, in ihrer Zugänglichkeit dagegen rücken die Tools nah an das klassische Collage-Werkzeug, die Schere, heran. Für viele Digital Natives scheint heute der mechanische Schnitt komplexer zu sein als die digitale Manipulation. Die Bearbeitung digitaler Medienproduktionen wird damit so naheliegend wie das Aufkleben oder Ausschneiden eines Fotos fürs Poesie-Album oder Freundschaftsbuch…..
Der vollständige Text ist unter dem Titel “Remixing Youtube – Über DJ-Kultur, Videoklone und ReSync-Attacken” im Buch „Generation Remix. Zwischen Popkultur und Kunst“ bei iRights.Media erschienen. Hier online Weiterlesen!